Maßwerk
In einem kleinen Ort im Bergischen Land steht einer der bedeutendsten gotischen Kirchenbauten Deutschlands.
In einem kleinen Ort im Bergischen Land steht einer der bedeutendsten gotischen Kirchenbauten Deutschlands.
Der Bau des Altenberger Doms begann im Jahre 1259 und wurde um 1400 fertiggestellt. Das berühmte Westfenster der Kirche gilt als das größte gotische Maßwerkfenster „nördlich der Alpen“. Entworfen von einem anonymen Künstler, genannt der „Meister des Berwordt-Retabels“, gibt die Glasmalerei des Fensters die mittelalterliche Vorstellung vom „Heiligen Jerusalem“, als Ort christlicher Endzeiterwartungen wieder. Der als Klosterkirche errichtete Altenberger Dom diente bis 1511 als Grabstätte für die Herzöge und Grafen von Berg und Jülich-Berg und ist heute die gemeinsame Pfarrkirche sowohl für die evangelische als auch für die katholische Gemeinde des Ortes.
Unter einem Maßwerk oder Maßwerkfenster — wie es das Exponat (als räumliches Puzzle) im ERLEBNISLAND MATHEMATIK (vgl. nachfolgende Abbildungen 2 und 3) zeigt — versteht man eine geometrisch konstruierte Ornamentform der Gotik.
Die filigrane Architektur der früher von Steinmetzen gefertigten und zusammengefügten Bögen, Spitzen und Kreise diente zunächst zur Gestaltung großer Fenster, vor allem an sakralen Gebäuden. Später wurden auch sogenannte Blendmaßwerke zur Gliederung auf Wandflächen und Giebel gesetzt und durchbrochene Maßwerke für Brüstungen benutzt. In der Spätphase der Gotik wurden die Maßwerke immer komplexer und variantenreicher. Die Bezeichnung „Maßwerk“ selbst ist auf den Begriff „Gemessenes Werk“ zurückzuführen. Es handelt sich um eine ausschließlich aus Kreisen geometrisch konstruierbare Form, wie sie auch unser Exponat zeigt. Das Maßwerk dient zur Unterteilung des über der „Kämpferlinie“ (der Verbindungslinie der „Kämpfer“, d.h. der lasttragenden Steine eines Bogens) gelegenen Bogenfeldes („Couronnement“, siehe Abbildung 4).
Die Geometrie der Maßwerke beschränkt sich auf die Verwendung von Zirkel und Lineal. Die einzelnen Konstruktionen verwenden dabei den Satz des Pythagoras (siehe auch das Exponat „Beweis ohne Worte: Pythagoras zum Legen“ und) und den 2. Strahlensatz, sowie den Vietaschen Wurzelsatz zur Lösung quadratischer Gleichungen. Im Folgenden sind drei der grundlegenden Konstruktionen dargestellt.
Bei dieser Konstruktion berührt der Inkreis mit dem Radius von innen beide Bögen (jeweils als Teile des Bogens von Kreisen mit dem Radius ) und die Grundseite der Länge (vgl. Abbildung 4).
Dem Satz des Pythagoras folgend ergibt sich (vgl. Abbildung 4):
d.h. . Damit ist oder genauer . Also verhält sich der Radius des Inkreises zum Radius der Bögen wie .
Bei dieser Konstruktion berührt der kleine Kreis mit dem Radius von innen beide Bögen, die Teile von Kreisen mit dem Radius sind, sowie von außen einen Halbkreis mit dem Radius (vgl. Abbildung 5).
Dem Satz des Pythagoras folgend ergibt sich:
d.h. . Daraus folgt: und somit . Die Radien des kleinen Kreises und des darunter liegenden Halbkreises verhalten sich also wie .
Bei dieser Konstruktion berührt ein Kreis mit dem Radius von innen beide Bögen, die Teile von Kreisen mit dem Radius sind, und — darunter liegend — zwei Halbkreise mit dem Radius von außen (vgl. Abbildung 6).
Dem Satz des Pythagoras (im Dreieck ) folgend ergibt sich mit , und einerseits die Gleichung
und andererseits (im Dreieck )
Das heißt
Also ist und damit , d.h. die Radien des „aufliegenden“ Kreises und der Kreise, deren Teile die Bogen bilden, verhalten sich wie .
[1] Binding, G.: Maßwerk, Darmstadt, 1989.
[2] Helten, L.: Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung — Syntax — Topologie, Berlin, 2006.
[3] Schnellbächer, I.: Das Altenberger Westfenster, seine Botschaft im Licht der Bibel, Mariawald, 2009.